Europas klügster Kubus

Berlins smartes Büroprojekt kommt mit Köpfchen: Tausende Sensoren sollen in Zukunft den Mitarbeitern das Leben erleichtern und Energie sparen.

Mit seiner gefalteten und kristallin wirkenden Glasfassade zieht der skulpturale Kubus gegenüber des Berliner Hauptbahnhofs schon jetzt alle Blicke auf sich. Doch die eigentliche Innovation der spektakulären Architektur steckt in ihren inneren Werten. Der vom Kopenhagener Architekturbüro 3XN entworfene Cube verfügt über 3750 Sensoren, die zu seinem digitalen Gehirn werden. Das Pionierprojekt wird als das intelligenteste Gebäude Europas angepriesen – am 18. Februar 2020 soll es in Berlin eröffnet werden.

„Liebe Kollegen! Bitte stellt Euer Geschirr in die Spülmaschine. Und bitte abends daran denken, die Kaffeemaschine auszuschalten!“ Eine typische Mail, hier erfunden, so oder anders täglich versendet. Ein Büro ist immer auch eine Arbeitsgemeinschaft, in der jeder seinen Beitrag dazu leistet, dass alles reibungslos läuft. Aber wie in jeder WG sind die Fallstricke kollektiver Aufgaben selten zu vermeiden. In Zukunft aber sollen die Büros einen neuen und einzigen Verantwortlichen für die alltägliche Organisation und ihre Prozesse bekommen: Das Gebäude selbst. Es könnte zum unsichtbaren Gehirn der Bürogemeinschaft werden, Temperatur, Zugang und Licht steuern. Die Putzfrau ein- und abbestellen, Reparaturbedarf melden oder Arbeitsabläufe optimieren. Die Ideen des Internets der Dinge, bei dem physische Objekte und virtuelle Modelle in einem übergreifenden Cluster miteinander vernetzt werden, wird im Cube bis ins letzte Detail realisiert. Damit reagiert das flexible Bürogebäude auf alle Workspace-Trends des 21. Jahrhunderts und ist gleichzeitig eine Reise an den Schreibtisch der Zukunft.

Smart Commercial Building
Wie könnte er also aussehen, ein Arbeitstag im digitalen Zauberwürfel? Schon morgens lassen sich die Kollegen selber ins Haus. Dazu brauchen sie keinen Schlüssel mehr, sondern eine App. Auf dem Weg zum Schreibtisch wird sie zum Assistenten. Wo ist ein Tisch frei, wie komme ich dorthin, passt der Raum zu den heutigen Aufgaben? Temperatur und Lichtverhältnisse werden mit einem Klick angepasst, wer keine Wünsche äußert, für den entscheidet das Gebäude. Die Sensoren verraten dem Algorithmus, ob es zu warm oder kalt ist – theoretisch kann dabei auf die sonstigen Vorlieben des einzelnen Mitarbeiters eingegangen werden oder eine von ihm voreingestellte Präferenzenliste berücksichtigt. Denn „the brain“ lernt. Wie sind die Gewohnheiten der Nutzer, wie gestalten sie ihren Arbeitstag? Wann ist die Fluktuation am größten, wann machen die meisten Feierabend? Ist keiner im Raum, wird die Temperatur gedrosselt, Licht ausgeschaltet und die Technik schlafen gelegt. Das spart Energie – im Gebäudebetrieb, aber auch bei den Mitarbeitern, die sich um viele sonst alltäglichen Aufgaben kaum mehr kümmern müssen. Zum Beispiel um die Post: Eine digitalisierte Packstation sendet, empfängt und verfolgt die Sendungen der Mitarbeiter. Während die sich ohne Unterbrechungen ihrer Arbeit widmen können.

Eine App für alles
Bereits seit 2017 wird die Technik, die all das ermöglicht, im Demozentrum der RWTH Aachen getestet. Dadurch soll sichergestellt werden, dass sich Bugs und andere Blockaden nicht erst nach der Inbetriebnahme zeigen. Denn auf Referenzen und Verwandte kann cube berlin sich nicht berufen, ist es doch das erste intelligente Bürogebäude seiner Art. Deshalb werden sich auch die Nutzer an die schöne neue Arbeitswelt gewöhnen müssen. Wem der Schutz seiner Daten, wie seiner persönlichen Wege und Vorlieben ein Anliegen ist, für den ist die Kommunikation mit dem digitalen Hausmeister schwierig. Trotzdem werden die Nutzer nicht zum Download der App verpflichtet, sie ist ein freiwilliges Modul. Mit dem Verzicht bleiben ihnen dann allerdings auch viele Vorteile vorenthalten.

Smart Working für Start Ups und Konzerne
Elf Etagen hat der Kubus mit seinen 42 Metern Kantenlänge und damit eine Bruttogeschossfläche von 19.000 Quadratmetern. Die sollen sich, so der Investor CA Immo, auf verschiedene Unternehmen und unterschiedlich große Einheiten aufteilen. Denn auch wenn das Haus als monolithischer Block auftritt, hat das dänische Architekturbüro 3XN die einzelnen Etagen autonom und gleichberechtigt gestaltet. Die dynamischen Einschnitte der Doppelfassade bilden Balkone aus, die in jeder Etage jeweils eine ganze Gebäudeseite einnehmen. Dazu kommt eine Dachterrasse mit einseitigem Blick zur Spree und einem 360 Grad Berlin-Panorama. Das Erdgeschoss hingegen soll – wohl auch aufgrund der infrastrukturell fantastischen Lage am Hauptbahnhof – der Öffentlichkeit zugänglich sein, sich als eine zu allen Seiten offene Lounge präsentieren und einen Food Court beherbergen. Hier können dann auch Besucher einen Vorgeschmack auf die Zukunftspotentiale der Digitalisierung bekommen – und vielleicht das smarte Arbeiten im communal space antesten.

Projektarchitekten: 3xn, www.3xn.com
Projekt: cube berlin, www.cube-berlin.de
Investor: CA Immo, www.caimmo.com

Fotos und Text: Tanja Pabelick