Das Berliner Schloss: Aufruf zu einem Moratorium
   Die politische Bedeutung des Schlosses rechtfertigt nicht dessen
   Wiederaufbau. Preußen ist vergangen, das Kaiserreich überwunden. Die
   Aufgaben der Gegenwart und Zukunft, europäische Integration,
   Globalisierung und multikulturelle Assimilation, sind anderer Natur. 
   Die historische Bedeutung des Schlosses verbietet dessen Wiederaufbau.
   Das Schloss war ein Geschichtszeugnis ersten Ranges, doch die
   Rekonstruktion eines Zeugnisses ist Urkundenfälschung. 
   Der Mangel an sinnvollen Nutzungen macht den Wiederaufbau des
   Schlosses hinfällig. An über-zeugenden Vorschlägen für den Inhalt eines
   rekonstruierten Schlosses mangelt es. Für Funktionen, die in der Stadt
   mehrfach anderweitig erfüllt sind, wird kein Schloss benötigt. Ein Museum
   für außereuropäische Kunst ist nicht in barocken Kabinetten, sondern nur
   in einem maßgeschneiderten Neubau optimal und vor allem international
   konkurrenzfähig untergebracht. 
   Die kunsthistorische Bedeutung des Schlosses rechtfertigt nicht dessen
   Wiederaufbau. Gerade die gestaltbestimmenden Teile des Ensembles, der
   Westbau und die Kuppel aus dem 19. Jahrhundert, waren künstlerisch
   zweitrangig. Lediglich Schlüters Beitrag war ersten Ranges, seine Großtat
   der Entwurf des Innenhofs. 
   Die Denkmaleigenschaft des Schlosses verbietet dessen Wiederaufbau.
   Die beliebige Reproduktion historischer Bauten entwertet die originalen
   Baudenkmale. Die Wiedererrichtung verloren gegangener Baudenk-male ist
   Geschichtsklitterung. Gelder, die für ein teures Falsifikat ausgegeben
   werden, fehlen bei den verfallenden wahren Denkmalen. 
   Die künstlerische Qualität der Bauskulptur macht den Wiederaufbau des
   Schlosses unmöglich. Schlüters eigenhändige Bildhauerkunst ist nicht
   reproduzierbar. Ein Faksimile wäre Kunstfälschung. 
   Die bauarchäologische Struktur des Schlosses macht dessen
   Wiederaufbau unmöglich. Das Schloss war ein komplexer Organismus
   unterschiedlichster Bauteile aus sechs Jahrhunderten. Insbesondere die
   verwinkelten und malerischen Ostteile aus der Renaissance sind nicht
   wiederzugewinnen. 
   Die ästhetische Qualität des Schlosses rechtfertigt nicht dessen
   Wiederaufbau. Zeitgenossen früherer Jahrhunderte klagten über den
   düsteren, ungeschlachten Kasten. Als Schönheit galt er nie. Wir haben die
   Kriterien für die Beurteilung historischer Architektur verlernt. Alter und Größe
   und Erhabenheit dürfen nicht mit Schönheit verwechselt werden. 
   Die „leere Mitte" rechtfertigt nicht den Wiederaufbau des Schlosses. Die
   "leere Mitte" ist ein Mythos. Das Straßengefüge der Berliner Innenstadt ist
   nie auf das Schloss zentriert gewesen, das „Herz Berlins" schlug nie hier -
   höchstens jenes des Kaisers. Die zentralistische Stadtorganisation feudaler
   Gesellschaftsordnungen ist nicht mehr zeitgemäß, die polyzentrische Stadt
   funktioniert auch ohne das Schloss. 
   Die städtebauliche Situation des Schlosses spricht gegen dessen
   Wiederaufbau. Das Schloss stand als monumentaler Fremdkörper auf
   weiter Flur ohne Bezug zum stadtstrukturellen Nutzungs- und
   Raumgeflecht. Diesen städtebaulichen Missstand ohne Not wieder
   herzustellen, kann niemand ernsthaft erwägen. 
   Deswegen ist ein Moratorium geboten. Alle Kommissionsergebnisse,
   Teillösungen, Amalgame von Neu und Alt, hier ein Fragment Palast der
   Republik, da eine Partie Schloss, dort ein Stück Moderne, außen
   Sandsteinnostalgie, innen pragmatische Zeitgenossenschaft, führen zu
   mediokren, mutlosen Kompromisslösungen, nicht jedoch zu hoher
   Baukultur, die einzig dem prominenten Ort angemessen wäre. 
   Es gibt keinen Anlass, den Schlossplatz möglichst rasch nur irgendwie zu
   füllen. Jetzt bauen hieße auch, einer späteren Generation die Chance zu
   nehmen, dort eine angemessene Nutzung unterzubringen. Statt dessen
   sollte den Platz eine Art Central Park einnehmen, der sich auch als
   Dauerlösung etablieren könnte. 
Diesen Aufruf zur Denkpause können Sie durch Ihre Unterschrift
   unterstützen. Ihre Meinung können Sie in einem ausgelegten Buch in der
   Galerie Aedes West zwischen dem 17. 2. und 5.3.2001, auf der Homepage
   www.aedes-galerie.de oder per E-Mail unter aedes-aufruf@baunetz.de
   bekunden.