In der Kuschelhölle
Die Orgatec, eine Wohlfühlveranstaltung! Warum das wohnliche Büro ein großes Missverständnis ist.
Wer hätte das gedacht? Die Orgatec, eine Wohlfühlveranstaltung! Bislang galt die Kölner Büromöbelmesse nicht gerade als gut gelaunte Angelegenheit. Zwar ein Pflichttermin für die Branche, aber etwas trocken und bürokratisch. Doch mit den vielbeschworenen Veränderungen der Arbeitswelt verändert sich auch die Messe. Zwischen den üblichen Bürostühlen, Akustikpaneelen und Konferenztischen wartete Heimeligkeit in Form italienischer Ledersofas, schwedischer Leuchten oder dänischer Loungechairs auf die Besucher. Allerdings: Das allenthalben verbreitete Wohlgefühl beruht auf zwei großen Missverständnissen.
Fingerdicke Wollteppiche, knubbelige Poufs, Sofas, Raumteiler, all das in quietschbunten Farben, aus kuschelig-weicher Wolle und dekoriert mit alten Rechenmaschinen, karierten Schreibblöcken und Bleistiften: So inszenierte die spanische Designerin Patricia Urquiola den Stand des amerikanischen Büromöbelherstellers Haworth. Die Botschaft ist eindeutig: Das Büro wird wohnlich, verstanden? Aber was ist eigentlich das Vorbild der bei Haworth und zahlreichen anderen Ausstellern der Orgatec 2014 so forcierten Wohnlichkeit?
Erstickungsgefahr!
Es ist diese Mischung aus Mid-Century-Möbeln, stapelweise Decken, Kissen, Geschirrhandtüchern und allerlei Krims-Krams, die in den Einrichtungsmagazinen und Interiorblogs immer so hübsch aussieht. Und damit sind wir auch beim ersten großen Missverständnis der Messe: Denn was in den Fotos einer Kreativen-Homestory funktionieren mag, entpuppt sich in der Realität als Retro-Kuschelhölle, die vor lauter Fusseln, Staub und Kitsch Erstickungsgefühle verursacht. Darin kann man sich vielleicht vor der sich rasend verändernden Welt da draußen verstecken – ein zeitgemäßes oder gar zukunftsweisendes Bild vom Wohnen ist das nicht.
Arbeit bleibt Arbeit
Zweite Frage: Warum soll das Büro überhaupt heimeliger werden? Als Ausdruck davon, dass Wohnen und Arbeiten verschmelzen? Weil wir zu Hause auf dem Telefon berufliche Mails abrufen? Weil wir am Arbeitsplatz in sozialen Netzwerken unserem Privatleben nachgehen? Das ist das zweite Missverständnis dieser Orgatec: Denn nur weil die Grenzen ohnehin verwischen, muss man diese Entwicklung noch lange nicht unhinterfragt zum Ideal erheben. Auf dem Loungesofa im Büro kuschelt eben nicht die Familie, sondern sitzt der Chef. In der Coffee Corner trifft man keine Freunde, sondern Kollegen. Und beim Meeting am Tisch aus Abfallholz geht es um Konzentration, Konzepte, Leistung, nicht um Entspannung und Unterhaltung. Arbeit bleibt Arbeit, und wenn wir sie noch so dick in pastellfarbene Wattewolle packen.
Die neue Ehrlichkeit
Seien wir lieber ehrlich und richten wir unsere Arbeitsplätze nicht so ein, als ob wir gerne dort wohnen wollten. Das heißt natürlich nicht, zu den eckigen, abwischbaren und blutleeren Möbeln zurückzukehren, die das Bild der Orgatec so lange bestimmten – und die man auch in diesem Jahr an vielen Ständen sehen konnte. Zwei Neuheiten der diesjährigen Orgatec gaben indes einen Eindruck davon, wohin die Reise gehen könnte. Die eine war die Arbeitsplatzstudie Hack, die Konstantin Grcic am Stand von Vitra zeigte. Hack ist ein Tisch mit Rückwand und zwei Seitenwänden, der sich dank einer Mechanik stufenlos höhenverstellen und flach zusammenklappen lässt. An dem roh wirkenden Möbel fielen die herausgestellten industriellen Beschläge ins Auge: Sollte Grcics Konzept in Serie gehen, kann der Käufer lediglich die Hardware des Tischs bestellen und die dazugehörenden Platten nach eigenen Vorstellungen beim Schreiner fertigen lassen. Kuschelig ist Hack wahrlich nicht, dafür aber ein angemessener Ausdruck unserer vom Wandel geprägten Zeit. Und wo sonst hätte sich Herr Grcic dazu inspirieren lassen sollen, wenn nicht im Silicon Valley?
Ins Offene
Auch die zweite Neuheit gefällt mit Klarheit: Der dänische Wohnmöbelhersteller und Szeneliebling Hay zeigte in Köln die Erweiterung seines Regalsystems von Stefan Diez. New Order Workspace Elements heißt die Kollektion aus Tischplatten, Beinen, Türen, Profilen und Accessoires, mit denen aus dem Basisregal eine ganze Bürolandschaft aufgebaut werden kann. Die Radikalität, mit der Diez den Systemgedanken durchgestaltet hat, hat man länger nicht gesehen. Doch die Härte dieses ganz auf industrielle Serienfertigung getrimmten Produkts wird von einer angenehmen Farbpalette, schönen Oberflächen und dem Hay-üblichen hübschen Kleinkram gemildert. Genauso wie Hack gibt das System keine eindeutige Lösung vor. Seine Stärke liegt in der Offenheit, die im Moment die einzig richtige Antwort auf die Frage nach der Zukunft des Büros ist. Niemand kann prognostizieren, wie wir in zehn Jahren arbeiten werden.
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Special: Büro 3000
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