Das Runde muss ins Eckige
Lina Bo Bardis Bowl Chair jetzt bei Arper in einer 500er Auflage.
Partner: Arper
Brasilien träumt vom Fußball – wir aber wünschen uns nur eine halbe Kugel. Lina Bo Bardis Bowl Chair ist die Designüberraschung des letzten Jahres und wird nächste Woche in neuen Variationen und in limitierter Auflage vom italienischen Hersteller Arper zum Salone del Mobile 2014 vorgestellt.
Die Italo-brasilianische Architektin Lina Bo Bardi, gestorben 1992, stand lange im Schatten von Oscar Niemeyer und weiteren, vornehmlich männlichen Vertretern der Moderne. Im Jahr 1946 wegen zunehmender Repressalien und begrenzter Möglichkeiten als Architektin mit ihrem Mann von Italien nach Brasilien emigriert, hat sie mit ihren Bauten dennoch ein eigenes Stück brasilianischer Architekturgeschichte geschrieben.
Was sie zu einem Rollenmodell der emanzipierten und fortschrittlichen Frau der 50er macht – die Rationalität, der Mut und der große Erfolg ihrer Architektur – wird jedoch durch eine geradezu mütterliche Sicht auf den Menschen konterkariert. Gesellschaft, Familie und der Einzelne stehen im Zentrum ihres Architekturverständnisses. Ihre Ideen und Vorgehensweisen waren stets unkonventionell und sensibel, ihre Gesten prägnant. So verdichtet ihre Visionen sich manifestierten, so holistisch waren ihre philosophischen und sozialen Ansichten. Wahrscheinlich ging es Lina Bo Bardi weniger um die Gestaltung an sich, sondern darum, eigene, unkonventionelle Standpunkte zu drängenden Fragen in Form zu gießen, um Raum für einen gesellschaftlichen Wandel zu schaffen. Lina Bo Bardi – die Mutter der Architektur. Und des Designs.
Weiche Schale, simple Basis
Der Bowl Chair, eigens für ihr 1951 fertig gestelltes Wohnhaus Casa de Vidro entworfen, ist ein Beispiel für Lina Bo Bardis sanfte Scharfsinnigkeit. Ein halbkugelförmiger Sitz, der auf einer Metallringstruktur von vier dünnen Beinen getragen wird. Reine Geometrie, äußerste Reduktion – nur völlig abseits der ausgetretenen Pfade. Denn in diesem Entwurf sind die Funktionen Unterbau und Sitzschale gänzlich von einander getrennt. Der Sitz fühlt sich fast an wie eine Eierschale, eine Muschel oder ein gemütlicher Kokon, und ruht auf einem filigranen Gestänge aus Stahl. Frei beweglich, kann die Halbschale in alle Richtungen gedreht und je nach Wunsch von einer liegenden in eine sitzende Position geschoben werden. Der Halt im Unterbau ergibt sich allein durch das Gewicht der minimalen, aber wohlproportionierten Schalenkonstruktion. Viele Jahre existierten allerdings lediglich Zeichnungen und einige wenige Prototypen des Sessels, konserviert und aufbewahrt vom Instituto Bo Bardi in Brasilien.
Hier wurden sie von Noemí Blager, selbst Brasilianerin und Architektin, wiederentdeckt. Auf die Spuren dieser unbekannten Größe der brasilianischen Moderne war Blager von einem Freund geleitet worden, als sie sich zu Studienzwecken mit dem Themenkomplex beschäftigen wollte. Das Werk Bo Bardis – und der Bowl Chair – begeisterten sie sofort. Und das so sehr, dass sie alles daran setzte, einen Weg zu finden, eine größere Öffentlichkeit für Lina Bo Bardis Werk zu schaffen. Eine Ausstellung sollte entstehen. Ein Sponsor wurde gesucht.
Sicher, in dem italienischen Möbelhersteller Arper einen passenden Partner gefunden zu haben, schlug sie dem Geschäftsführer Claudio Feltrin vor, die Ausstellung zu unterstützen. Dieser willigte ein – allerdings unter einer Bedingung: Es sollte eine Wanderausstellung werden. Den Bowl Chair wollte er in einer limitierten Auflage wiederaufleben lassen – die geplante Ausstellung sollte unter dem Titel Lina Bo Bardi: Together in mehrere Städten Europas gastieren und Leben und Werk der Italo-Brasilianerin vermitteln. Nach Stopps in Paris, Basel, Wien und London wird die Ausstellung dieses Jahr erstmals in den USA zu sehen sein.
Verknapptes Comeback
Sechzig Jahre nach seiner Entstehung wurde Bowl Chair also von Arper wiederaufgelegt und in limitierter Edition und zeitgemäßer Ausstattung mit hübschen Kissen versehen. Erstmals hat Arper einen Entwurf eines bereits verstorbenen Gestalters realisiert, weshalb der umgesetzte Sessel nur zu etwa 50 Prozent den Prototypen entspricht. Zur Serienreife gediehen und an heutige Produktionsprozesse angepasst, fließt ein Teil des Verkaufserlöses der 500 erhältlichen Exemplare an das Instituto Lina Bo Bardi, das sich um den Erhalt des Erbes der Architektin kümmert.
Die elegante und schlichte wie einmalige Form des Sessels wird durch hochwertige Textilien von Kvadrat ins Jetzt befördert. Ein mutiges Farbkonzept macht ihn zum souveränen Einzelgänger und frischen Teamplayer. Der Entwurf schreit förmlich nach den klaren Formen der Moderne. Was ihm einen Platz im zeitgenössischen Interiordesign sichern könnte. Wobei der Entwurf vor allem in einem – wie bei seinem Ursprung bedachten – eher reduzierten Umfeld aus Stahl, Glas und Beton zu leben beginnt. Ohne diesen Kontext könnte er fast trendy wirken. In seiner limitierten Edition und mit seinem stattlichen Preis richtet sich Bowl Chair allerdings vor allem an Bo-Bardi-Jünger, Designfans und Sammler. Zwei Exemplare darf man bestellen, und die sollte man sich auch gönnen – denn erst dann wird es eine runde Sache. Das Eckige vorausgesetzt.
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Salone del Mobile 2014
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