Vorschau auf die imm cologne 2014
Wohnen mit Wohlfühleffekt: Vom 13. bis 19. Januar 2014 lädt die Kölner Einrichtungsmesse an den Rhein.
Es ist ein verlässliches Ritual: Kaum ist das Silvesterfeuerwerk verloschen, steht auch schon die Kölner Einrichtungsmesse imm cologne bevor. Vom 13. bis 19. Januar vereint der erste Pflichttermin des neuen Möbeljahres die Branche am Rhein. Als Plattform für die Neuheiten deutscher und internationaler Hersteller ist die Messe ein Seismograf für aktuelle Trends. Einer davon: Möbel werden nicht mehr isoliert betrachtet, sondern in eine ganzheitliche Erfahrung des Wohnraums eingebunden.
Bereits im September waren 80 Prozent der Ausstellungsfläche des Kölner Messegeländes vergeben, wobei erneut ein Zuwachs von ausländischen Herstellern mit Schwerpunkt Italien und Skandinavien verzeichnet wurde. Wenn in der kommenden Woche 1.100 Aussteller aus 50 Ländern ihre Produkte rund ums Wohnen zeigen, wird die imm cologne den Erfolgskurs der vergangenen Jahre weiter fortsetzen. Die Ursache dafür ist einfach definiert: Noch immer punktet Deutschland mit seiner stabilen Wirtschaftslage und verzeichnet weiterhin den höchsten Pro-Kopf-Umsatz in Sachen Möbel und Einrichtungsobjekten weltweit. Außerdem: Die Messebesucher in Köln kommen keineswegs nur zum Schauen, sondern ebenso zum Ordern.
Dass das im Zweijahres-Rhythmus stattfindende Küchenevent LivingKitchen in diesem Jahr pausiert, wird der Messe nicht zum Nachteil geraten. Mit dem Einrichtungsformat LivingInteriors und insbesondere dem Pure-Bereich mit seinen verschiedenen Segmenten wie Pure11, Pure Editions, Pure Village oder der Nachwuchsplattform Pure One erwarten die Besucher zahlreiche Neuheiten internationaler Hersteller. Das Konzept der Einrichtungsmesse soll Wohnen als ganzheitliches Erlebnis erfahrbar machen. Anstatt Möbel isoliert zu betrachten, werden sie mit Leuchten, Stoffen, Bädern und Accessoires gemeinsam präsentiert und somit in ihrer natürlichen Umgebung inszeniert.
Wohnen als Atmosphäre
Welche Wirkung das Verflechten der Disziplinen erreichen kann, zeigt die dritte Ausgabe von Das Haus – Interiors on Stage. Bereits 2012 hat das Londoner Designerduo Doshi Levien seine Vorstellung eines idealen Zuhauses in einer realistischen Wohnwelt präsentiert, gefolgt vom venezianischen Designer Luca Nichetto im vergangenen Jahr. Diesmal wurde die Gestaltung der dänischen Gestalterin Louise Campbell übertragen, die Wohnen nicht als Sammelsurium von Objekten, sondern vielmehr als Atmosphäre begreift. Ihr Haus ist keine Zurschaustellung von Trophäen, sondern ein Ort der Ruhe und des Rückzugs. „Das genaue Gegenteil von zu viel Lärm“, sagt die Kopenhagener Gestalterin und nimmt auf diese Weise das Leitthema dieser Messe vorweg.
Denn auch die Neuheiten, die auf den Ständen der einzelnen Unternehmen gezeigt werden, agieren keineswegs als hightechverliebte Kraftbolzen oder gar als skulpturale Rampensäue. Im Fokus stehen galante Teamspieler, die durchaus auch als Einzelstücke betrachtet werden können. Dennoch reichen ihre Qualitäten über die eigene Existenz hinaus. Statt anderen Objekten den Rang abzulaufen, fügen sie sich vielmehr in vorhandene Wohnsituationen ein. Wie rundum kompatible Puzzleteile vervollständigen sie das Vorhandene durch wohl kalkulierte Zurückhaltung. Die Folge: Das Neue wird nicht als etwas Radikales, Provokantes oder Ironisches serviert. Es stiftet Vertrauen, indem subtile, historische Anker mit einer zeitgenössischen Sprache verbunden werden.
Anker für die Gegenwart
Wie ein solches Vorhaben gelingt, zeigt das Sesselprogramm Beetle von Gubi. Der Entwurf des italienisch-schwedischen Designerduos GamFratesi verfügt über weiche, abgerundete Ecken, die unweigerlich Assoziationen an die Sitzmöbel der fünfziger Jahre wecken. Schlanke Füße, die sich zum Boden verjüngen, werden von münzgroßen Füßen abgefedert, während farbig abgesetzte Kanten eine grafische Komponente bringen. Die Gegenwart steckt in den veränderten Proportionen. Während historische Vorgänger oft klobig schwer erschienen, wirkt das Möbel auffallend leicht. Die Schlankheit der Rückenlehne und Sitzfläche macht das Möbel auch für kleine Wohnungen passfähig – ein Umstand, der durch die verletzungsrisikofreien Rundungen noch weiter unterstrichen wird.
Auch natürliche Materialien spielen weiterhin eine wichtige Rolle. Hölzer trumpfen nicht als grobe Klötze auf, sondern werden vielmehr als integrale Bauteile in filigrane Konstruktionen eingebunden. Ein Beispiel ist der Stuhl Sharky, den Eva Paster und Michael Geldmacher alias Neuland Industriedesign für Kristalia entworfen haben. Aus der Rückseite der aus Polyurethan gefertigten Sitzfläche ragen zwei schlanke Flossen heraus, die als Ankerpunkt für Füße aus massiver Buche oder Eiche dienen. Die tragende Struktur wird nicht versteckt – sie gibt dem Möbel ein wiedererkennbares (und für Wettbewerber weitaus weniger leicht zu kopierendes) Profil.
Konstruktive Präsenz
Auf einen ungewöhnlichen Materialmix setzt das britische Möbellabel „H Furniture“, das auf der Kölner Möbelmesse seine erste Kollektion präsentiert. Die Kollektion Brick erzeugt einen Brückenschlag zur Architektur, indem schlanke Terrakotta-Ziegel von einem Rahmen aus massivem Eichen- oder Wallnussholz eingefasst werden. Damit der Transport der „geerdeten“ Möbelstücke auch ohne Lastenaufzug gelingt, kann die Struktur vollständig demontiert werden. Einen Gegenpol zur Härte des Materials erzeugt die Sitzbank mit einer weich gepolsterten Sitzfläche aus Leder. Auch hier folgt die Gestaltung des mexikanisch-britischen Designteams Hierve einer verlässlichen Rezeptur: Vertraute und in ihrer Haptik und Anmutung als warm empfundene Materialien werden zu einem wohnlichen Cluster verschmolzen, der in sämtlichen Räumen eine gute Figur abgibt.
Kompatibilität steht auch bei Böwer hoch im Kurs. Bereits zum dritten Mal in Folge kooperierte das norddeutsche Möbellabel mit dem Kölner Designer Eric Degenhardt. Die Beistelltische Drift und Disc tanzen nicht nur mit ihren angeschrägten Füßen aus der Reihe, sondern variieren ihre Erscheinung durch auskragende Tischflächen mit dem Blickwinkel des Betrachters. Die Folge: Die Möbel dienen als Hingucker, ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Dank neutraler Farben und klarer Geometrie suchen selbst Solitäre den Schulterschluss zu ihrer Umgebung und verwandeln den Wohnraum in „Teamwork“.
Dominanz der Klassiker
Welche Langzeitwirkung passfähige Möbel erzeugen, hat das Sitzprogramm Conseta von Cor unter Beweis gestellt. Der Entwurf von Friedrich-Wilhelm Möller wurde auf der Kölner Möbelmesse 1964 vorgestellt und feiert nun an selbiger Stelle sein 50-jähriges Jubiläum. Der Erfolg ist auch hier einer wohl kalkulierten Zurückhaltung geschuldet. Indem Sofa und Sessel auf ihren jeweiligen Archetypus reduziert wurden, vermochte sich das System nicht nur in sämtliche Umgebungen und Einrichtungsstile einzufügen. Es wurde gegenüber Moden und schnelllebige Trends resistent.
Dass Klassiker nicht in der Vergangenheit verharren müssen, zeigt Thonet mit dem Sekretär S 1200. Der filigrane Werksentwurf bildet eine passende Ergänzung für die Stahlrohrmöbel von Stam bis Breuer und gibt auch einzeln ein stimmiges Bild ab. „Man muss sich verändern, um der Gleiche zu bleiben“, sagt die niederländische Trendexpertin Monique van der Reijden, die Thonet bei der Entwicklung von sieben neuen Farben beraten hat. Wenn die stählernen Rahmen der Bauhaus-Klassiker statt in kühlem Chrom in kräftigem Rot oder Senfgelb erscheinen, wird nicht nur das Vertraute in ein neues Licht gerückt. Es herrscht plötzlich Burgfrieden in der Welt des Wohnens, indem selbst dem Technisch-Industriellen eine atmosphärische Komponente abgerungen wird.
Mehr Weitsicht
Ob die Möbelbranche mit diesen Konzepten den Ausweg aus der noch immer anhaltenden Talfahrt meistern wird, muss sich allerdings noch zeigen. Fakt ist: Das Wohnen ist schon seit langem keine Sperrspitze neuer Designexperimente oder gar Spielwiese alternativer Lebensformen. Statt den großen Wurf zu suchen, herrscht die leisen Evolution. Schritt für Schritt werden die bekannten Dinge variiert, aufgefrischt und manchmal sogar tatsächlich verbessert. Am Markt wird diese Strategie durchaus honoriert, wenngleich in vorsichtigem Maße. Wer einen wirklichen Aufbruch meistern will, muss dagegen auch begeistern.
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