Glanz ist in der kleinsten Röhre
Stilbruch mit vier Buchstaben: Boutique in Paris.
Unauffällig geht anders. Eine XXS-Boutique bricht die architektonische Einheit einer Pariser Gebäudefassade im Haussmann-Stil auf. Und glänzt so golden, dass schon so manch potenzieller Kunde das Weite gesucht hat.
Baron George-Eugène Haussmann würde sich im Grab umdrehen. Denn Stella Cadentes Boutique unweit der Bastille pfeift auf die strengen Regeln, mit denen er Paris Mitte des 19. Jahrhunderts sein bis heute erhaltenes Stadtbild gab. Die typischen Pariser Steinquader mussten beim Umbau einer rechteckigen Glasvitrine weichen, die den Blick auf einen Ein-Raum-Laden in Form eines Tunnels freigibt. Materialien und Strukturen, die im größten denkbaren Kontrast zu dem von Haussmann gepredigten eklektizistisch-historistischen Stil stehen. Der auffälligste Stilbruch ist jedoch farblicher Natur und hat vier Buchstaben: GOLD. Es ist omnipräsent und lässt die sandfarbene Fassade des Gebäudes alt und blass aussehen.
Blattgold, das abblättert
„Gold war schon immer ein fester Bestandteil meiner Kollektionen", begründet die Designerin Stella Cadente diese Omnipräsenz. „Es zieht die Menschen seit je her in seinen Bann und hat etwas Geheimnissvolles, das auch mich wahnsinnig faziniert.“ Mit zehn Mitarbeitern tapezierte sie eigenhändig Wände und Decke mit tausenden, hauchdünnen Goldplättchen. „Ich wollte meiner Boutique eine Lebendigkeit verleihen, die Platz für Ecken, Kanten und Imperfektionen lässt.“ Und bei genauerem Hinschauen versteht der Betrachter, was sie damit meint: Die Plättchen wurden mal mehr und mal weniger quadratisch zugeschnitten, und an vielen Stellen blättern sie von den Wänden. Auch die in Gold gestrichenen Regaleinsätze, die wie Nischen in die Tunnelseiten integriert wurden, lassen erste Abnutzungserscheinungen erkennen. Zahlreiche Lichtquellen am Boden, an der Decke und in den Regal-Nischen sorgen jedoch für den ultimativen Glamour-Effekt: Sie lassen alles erstrahlen und glänzen.
Erschwinglicher Luxus
Und zwar so intensiv, dass dieser Effekt einigen Leuten Angst bereitet. „Viele assoziieren die Farbe Gold mit Luxus. Es passiert leider immer wieder, dass sich Passanten unsere Boutique nur von außen anschauen und mir mit einem Schulterzucken zu verstehen geben, dass sie sich unsere Produkte nicht leisten können“, berichtet Boutiquemanagerin Christelle. Ein Trugschluss, denn Stellas Universum ist durchaus erschwinglich. Und es ist breitgefächert. Stella widmet sich Mode für Frauen und Männer, Schmuck, Accessoires, Parfüm, Lingerie, Dekoration und Einrichtungsgegenständen. Umso erstaunlicher, dass diese Produktpalette auf nur 50 Quadratmetern Platz findet. Und dabei noch nicht einmal überladen wirkt.
Ein Fleckchen Glanz
Entworfen hat dieses Raumwunder das französische Architektenbüro Atelier du Pont, dirigiert von Stellas langjähriger Freundin Anne-Cécile Comar. Sie zollte mit ihrem Entwurf einer zylindrischen Boutique mit elliptischem Grundriss einen Tribut an den starken weiblichen Akzent in Stellas Welt. Und wie die Designerin selbst bediente auch sie sich einem Materialmix, um Stellas Kreationen aus Leder, Wolle und Spitze mit Metall, Stein und Holz architektonisch in Szene zu setzen. Wie schon erwähnt: Herrn Haussmann würde diese Boutique nicht gefallen. Sie ist mit ihrer Überdosis an Gold, Kitsch und Poesie mit Sicherheit nicht jedermanns Geschmack. Unbestritten ist jedoch, dass es mit ihr mitten in Paris ein Fleckchen gibt, das auch bei schlechtem Wetter und trotz Wirtschaftskrise strahlt und gleißt.
Alles, was glänzt: Mehr aus unserem Special The Golden Age lesen Sie hier.
FOTOGRAFIE Sergio Grazia
Sergio Grazia