Die Legofon-Revolution
Die Zukunft des Telefons ein Bausatz? Zwei innovative Konzepte sorgen derzeit für Wirbel.
Die ganze Welt wird von einigen wenigen Mobilfunkgiganten beherrscht. Die ganze Welt? Bislang schon, doch zwei kleine Projekte wollen den Markt von unten aufrollen, indem sie sich als digitales Volksbegehren dazwischen drängen. Ihr Konkurrenzvorteil: Nachhaltigkeit, eine faire Produktion und die Fähigkeit, sich passgenau auf den Nutzer einzustellen. In Zeiten der Black Box-Produkte ein Konzept, das aufzugehen scheint.
Einst mussten wir vor dem Kauf eines Elektrogerätes erst über den genauen Bedarf und Einsatz nachdenken. Fernseher mit Videorekorder, eine Stereoanlage mit Receiver, Kassettendeck und CD-Player? Ein Telefon mit Anrufbeantworter oder ohne? Wir wussten, was wir wollten – und kauften genau das. Heute ist alles anders. Die Geräte sind kleine und patente Assistenten und in schwarze Kisten verpackt. Theoretisch können sie so gut wie alles. Ihre Talente haben sich ins Digitale verzogen, lassen sich aktivieren oder ignorieren oder aus irgendwelchen Wolken nach Hause laden. Die tatsächlichen Prozesse versteht kaum noch jemand. Doch statt Zufriedenheit über den Strauß der Möglichkeiten setzt Verdruss ein. Der fängt bereits bei der physischen Erscheinung an. Akku austauschen? Das allein kann schon zum Problem werden. Weil die Standardbatterie gerade noch in eine Fernbedienung passt oder, noch fataler, die Geräte so aalglatt und fugenlos ihr Innenleben abschließen wie einst der schwarze Monolith in Stanley Kubricks Film Odyssee 2001. Dann muss das Gerät, so wie Apples iphone, zum Hersteller geschickt werden – oder wird direkt durch das Folgemodell ersetzt.
Transparent und gerecht
Konsum-Aktivisten und Designer grätschen dazwischen und wollen sich selbst und den anderen Konsumenten transparente Alternativen bieten. Seit dem Frühjahr existiert eine Webseite namens Fairphone: Dort kann man ein Telefon bestellen, das es noch nicht gibt, aber als „seriously cool smartphone“ beschrieben wird. Smart an ihm ist, dass es ethisch verantwortungsvoll produziert wird und seinem Käufer jede Komponente und deren Herstellung offenlegt. Entstanden ist die Idee in Amsterdam, von hier aus hat sie über Blogs blitzschnell die Welt erobert. Die ersten Telefone werden wohl zu Weihnachten ausgeliefert. Für den Produktionsstart wurden 5000 Bestellungen benötigt, tatsächlich steht der Zähler derzeit bei 25000. Im Vergleich zu den großen Herstellern sind das kleine Zahlen – noch.
Nach dem Lego-Prinzip
Denn auch bei den Produzenten wächst die Sensibilität für die Nutzerwünsche. Der niederländische Gestalter Dave Hakkens hat im Sommer seinen Entwurf Phonebloks vorgestellt. Aus verschiedenen Modulen und einem Endoskelett kann ein Handy mit den gewünschten Funktionen zusammengestellt werden. Jetzt wurde bekannt, dass Motorola sich mit Hakkens zusammengetan hat und seine Studie als Produktlinie Ara realisieren wird. Ein kluger Schachzug, das zeigt schon der Blick auf die blanken Zahlen. Nachdem der Gestalter seine Idee ins Web gestellt hatte, stürzte sich die Welt auf den jungen Designer. Auf einer Webseite namens Thunderclap suchte er nach Unterstützern: „Zeig der Welt, das Du ein Telefon willst, das es sich zu behalten lohnt!“ 381 Millionen Menschen klickten auf Phonebloks, fast eine Million Anhänger fand er. Seine Idee hatte sich viral verbreitet und sickerte auch ins Silicon Valley durch. Nur wenige Wochen nach Veröffentlichung lud Motorola ihn ein, seine Revolution zu präsentieren.
Mehr als sieben Leben
Das Konzept Phonebloks gewinnt vor allem dadurch, dass es sich von der festgefahrenen Idee eines definierten Elektrogerätes verabschiedet. Jeder Käufer sucht sich seine Bausteine selbst aus. Brauche ich viel Speicher, eine leistungsstarke Kamera, vielleicht einen Radioempfänger? Jede Funktion ist in einem Block untergebracht, der auf den Träger aufgesteckt oder eingeschoben wird. Wie das Telefon genau konstruiert werden kann, ist zum jetzigen Zeitpunkt allerdings noch nicht klar. Denkbar ist hingegen viel – selbst medizinische Assistenten könnten integriert werden. Sollte etwas defekt sein, dann kann das betroffene Modul einfach ausgetauscht werden. Wird eine andere Funktion benötigt, kann sie installiert werden – auch temporär. Wann die ersten Modultelefone auf den Markt kommen, ist noch offen. Allerdings hat Motorola sich das digitale Volksbegehren wohl zu Herzen genommen und tut es den beispielhaften Erfolgsmodellen von Phonebloks und Fairphone gleich, indem es die Crowd miteinbezieht. Auf der Ara-Webseite werden Entwickler dazu eingeladen, sich an der Evolution zu beteiligen. So bekommen wir dann vielleicht bald ein Telefon, das wir nie wieder wegwerfen müssen.
Mehr von unserem Special Modulares Leben: Hier geht´s zur Übersichtsseite...